EuGH: HOAI Mindest- und Höchstsätze sind europarechtswidrig
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 4. Juli 2019 sein Urteil im HOAI-Vertragsverletzungsverfahren verkündet. Nach Auffassung des Gerichts sind die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI mit dem EU-Recht nicht vereinbar.
Der EuGH hat in dem von der EU-Kommission angestrengten Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland entschieden (Urt. v. 04.07.2019, Rs. C-377/17), dass die verbindliche Vorgabe von Mindest- und Höchstsätzen in der HOAI nicht mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie (RL 206/123/EG) zu vereinbaren sei. Demnach verstißenen die in der HOAI enthaltenen Regelungen zu Mindest- und Höchstsätzen nach Ansicht des EuGH sowohl gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie als auch gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV.
Hinsichtlich der Mindestsätze stützt sich der EuGH maßgeblich darauf, dass die Regelungen des HOAI inkohärent seien. Das mit den Mindestsätzen verfolgte Ziel, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu erhalten, könne nämlich nicht erreicht werden. Denn diese Leistungen könnten auch von Dienstleistern erbracht werden, die ihre fachliche Eignung nicht nachgewiesen haben.
Die verbindliche Festsetzung der Höchstsätze hält der EuGH für unverhältnismäßig, da es ausreichen könnte, den Kunden unverbindliche Preisorientierungen für die verschiedenen von der HOAI erfassten Leistungen zur Verfügung zu stellen.
Auswirkung auf die Praxis
Hervorzuheben ist zunächst, dass das Urteil „nur“ den Vergütungsrahmen gem. § 7 Abs. 1, 3 und 4 HOAI betrifft. Aus dem Urteil sollte u.E. nicht gefolgert werden, dass die HOAI in Gänze europarechtswidrig ist.
Aufgrund des Feststellungsurteils des EuGH (Art. 260 Abs. 1 AEUV) ist die Bundesrepublik Deutschland nun verpflichtet, den unionsrechtswidrigen Zustand unverzüglich für die Zukunft zu beseitigen. U.E. wirkt sich das o.g. EuGH-Urteil in vielerlei Hinsicht auf die Praxis aus:
- Das Bundeswirtschaftsministerium hat die öffentlichen Stellen in Deutschland aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts in einem Informationsschreiben vom 04. Juli 2019 angehalten, ab sofort die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden und daher bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Architekten- oder Ingenieurleistungen den Zuschlag auf Angebote nicht mehr aufgrund der Tatsache, dass die angebotenen Preise unterhalb der Mindestsätze oder oberhalb der Нöchstsätze der HOAI liegen, zu verweigern. Hiervon bleibt u.E. die Möglichkeit auf Seiten von öffentlichen Auftraggebern unberührt, unauskömmliche Angebote auszuschließen.
- Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Primärrechts gegenüber nationalen Regelungen, dürfte es u.E. tatsächlich nicht mehr zulässig sein, Bieter aus einem Vergabeverfahren auszuschließen, weil ihre Angebote die Mindestsätze der HOAI unterschreiten bzw. die Höchstsätze überschreiten.
- Öffentliche Auftraggeber dürften auch künftig berechtigt sein, als Berechnungsgrundlage für das Honorarangebot die HOAI vorzugeben. Schließlich können öffentliche Auftraggeber nach § 52 Abs. 2 S. 3 SektVO bzw. § 58 Abs. 2 Satz 3 VgV sogar Festpreise vorgeben, so dass das wirtschaftlichste Angebot ausschließlich nach qualitativen, umweltbezogenen oder sozialen Zuschlagskriterien bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund dürfte der öffentliche Auftraggeber u.E. grundsätzlich nicht gehindert sein, einen festen Preisrahmen, d.h. den der HOAI vorzugeben. Ein gewisses Restrisiko verbleibt in diesem Zusammenhang jedoch, da keine einschlägige Rechtsprechung existiert und öffentliche Auftraggeber sich im Einzelfall dem Vorwurf der Umgehung des EuGH-Urteils aussetzen könnten.
- Mehr Rechtssicherheit hätten öffentliche Auftraggeber daher, wenn sie Bietern die Kalkulation des Honorars nach HOAI mit der Möglichkeit vorgeben, einen frei kalkulierbaren Abschlag von den Mindestsätzen oder Zuschlag auf die Höchstsätze anzubieten. Auf diese Weise käme den Mindest- und Höchstsätzen keine einschränkende Rolle zu und Bieter könnten grundsätzlich frei kalkulieren.
- Die Auswirkungen auf bereits anhängige und künftige Mindestsatzklagen sind derzeit umstritten, so dass diese im Einzelfall erfolgreich verlaufen (OLG Naumburg, Urt. v. 13.04.2017 – Az. 1 U 48/11) oder aber ohne Weiteres abgewiesen werden könnten (vgl. OLG Dresden, Beschl. v.08.02.2018 – Az. 6 O 1751/15).
- Das OLG Rostock bestätigt mit Beschluss vom 2. Oktober 2019 (Az. 17 Verg 3/19) die bisherige Rechtsprechung der 2. Vergabekammer des Bundes (Beschluss v. 30. August 2019 – Az. VK 2-60/19), demzufolge ein Vergabeverfahren nicht wegen des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019 aufgehoben werden muss.
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